D’Annunzio
„In der verrückten und feigen Welt gibt es heute ein Zeichen der Freiheit; in der verrückten und feigen Welt gibt es eine reine Sache: Fiume; es gibt eine einzige Wahrheit: und die ist Fiume; es gibt eine einzige Liebe: und das ist Fiume! Fiume ist der strahlende Leuchtturm, der Licht spendet inmitten des Meeres von Niederträchtigkeit.“
Alalá Gabriele D’Annunzio 1919 in seiner Rede nach der Eroberung von Fiume
FIUME. Im September 1919 besetzte der italienische Poet Gabriele D’Annunzio die istrische Hafenstadt Fiume, das heutige Rijeka, damals immerhin eine Stadt mit 50 000 Einwohnern und einem späteren Besatzungsheer von 10 000 Mann. Zum ersten Mal in der Geschichte war ein Traum der Avantgarde in Erfüllung gegangen: Die Kunst war an der Macht, den endlosen Forderungen und Worten waren endlich Taten gefolgt. Diese erste „Diktatur der Kunst“ währte nur 15 Monate. Zu groß waren die Zugeständnisse, die man in den Wirren der Nachkriegspolitik noch an die Politik machen musste, zu ungewöhnlich das Projekt. Die Erinnerung an Fiume – man könnte in dem Zitat von D’Annunzio das Wort „Fiume“ auch durch „Kunst“ ersetzen – verblasste und die Herrschaft der Kunst wurde in der Kunstgeschichte außerhalb Italiens weitgehend ignoriert oder verdrängt.
VITTORIALE. „Nach so viel Lärm sehne ich mich nach Ruhe, und nach so viel Krieg nach Frieden.“ Nach dem Schiffbruch der Diktatur der Kunst zieht sich Comandante Gabriele D’Annunzio nach Gardone am Gardasee zurück und kauft dort eine Villa, die Keimzelle des späteren Vittoriale degli Italiani. In der Zwischenzeit bedienen sich die Faschisten der Mythen von Fiume, um einen Staatsstreich vorzubereiten. D’Annunzio spricht von „jugendlichen Nachahmern“ und von „widerrechtlicher Machtergreifung“. Mussolinis Marsch auf Rom ist nicht der Marsch von Ronchi und für D’Annunzio eine unrechtmäßige Machtergreifung. D’Annunzio zieht sich in sein „Schneckenhäuschen“ zurück und meidet fortan die Niederungen der Politik. Das Vittoriale wird zum Monument des Ersten Weltkrieges und der Zeit von Fiume – mit dem Flugzeug, aus dem er Flugblätter über Wien abgeworfen hat, dem Torpedoboot MAS, aus dem nicht Torpedos, sondern eine Flaschenpost an die feindlichen Streitkräfte gesandt wurde, und dem Bug des Königlichen Kreuzers Puglia als Hauptbestandteilen dieser festlichen Inszenierung. Auf dem nach D’Annunzios Tod gebauten „Hügel der Toten“ unweit der Puglia ruhen einige Legionäre von Fiume, der Architekt des Vittoriale, Gian Carlo Maroni, und D’Annunzio selbst. Ihre sterblichen Überreste wurden auf Wunsch D’Annunzios in römischen Steinsarkophagen bestattet.
PUGLIA. Der Bug des Königlichen Kreuzers Puglia kam Anfang 1925 in 20 Bahnwaggons nach Gardone und wurde von dort aus ins Vittoriale transportiert. Den in den Hügel des Berges eingelassenen Bug rühmt selbst Guy Debord in seiner „Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung“ als gelungenes Beispiel einer Zweckentfremdung im Sinne der Situationistischen Internationale.
RADIO. 1920 kommt der Erfinder des Radios, Guglielmo Marconi, nach Fiume, um dort eine Radiostation aufzubauen. Hierzu kam es nicht mehr, aber D’Annunzio konnte von Marconis Yacht aus eine kurze Radiobotschaft versenden. Der Text und die Aufnahme dieser Botschaft haben sich erhalten.